Levins Mühle by Johannes Bobrowski

Levins Mühle by Johannes Bobrowski

Autor:Johannes Bobrowski
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Philipp Reclam jun., Leipzig
veröffentlicht: 1981-01-01T00:00:00+00:00


9. KAPITEL

Der fünfzehnte Satz gehört nicht zur Handlung. Wenn auch zu uns, er heißt, nicht ganz genau: Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.

Da reden wir also über die Väter oder Großväter und müßten doch wissen, daß diese Väter oder Großväter ihrerseits ebenfalls Kinder sind, im dritten oder vierten oder siebenundzwanzigsten Glied. Da gibt es kein Ende, wenn wir erst anfangen herumzusuchen. Da finden wir Schuldige über Schuldige und halten uns über sie auf und nehmen uns unterdessen vielleicht stillschweigend aus.

Obwohl doch zum Beispiel die ganze Geschichte hier unsertwegen erzählt wird.

Lieber Mensch, gehab dich wohl, heißt es in Alberti Musikalischer Kürbishütte von 1641, welche, wie es im Titel gleich steht, uns erinnert menschlicher Hinfälligkeit, woran wir uns aber nicht erinnern lassen. Weiszmantel kennt diese Königsbergische Hütte nicht, obwohl sie sich gut singen läßt, zu drei Stimmen, vocaliter oder auch mit Instrumenten, und auf schöne Texte. Aber er sagt es ganz genau so wie dieser Herr Albert: Lieber Mensch, gehab dich wohl.

Und Habedank sagt: Na ja, dann geh man.

Doch der Weiszmantel kommt lieber noch ein paar Schritte mit, bis auf die kleine Höhe hinauf, vor Neumühl.

Sie kommen wieder von den Drewenzwiesen her, die beiden, wie neulich. Das Strasburger Begräbnis ist vergessen, der neue Kaplan auch, sie reden da etwas von Pferden, von einer Schimmelstute aus Kladrub, aus dem Böhmischen. Was so ein Tier herumkommt! Da hat sie ein Weilchen in Cielenta gelebt und im Jahr darauf in Rosenhain gefohlt, jetzt steht sie in Brudzaw und ist schon verkauft nach Linde.

Und die beiden sind auf der kleinen Anhöhe angelangt.

Und der Weiszmantel sagt nicht noch einmal: Gehab dich wohl. Er steht da, er sagt gar nichts. Wie der Habedank.

Dort drüben, an der Stelle, wo Pilchs Häuschen gestanden hat, dreißig oder vierzig Jahre lang, steht Gendarm Krolikowski, sonst nichts, nur ein Stück Zaun. Die rechte Hand hat Krolikowski in die Uniformjacke gesteckt, zwei Handbreit unter dem Kragen. Da steht er, und nun geht Habedank auf diesen Gendarm zu. Und der Weiszmantel bleibt stehen. Herr Gendarm, sagt Habedank.

Schnauze, sagt Krolikowski. Und verbessert sich, als Amtsperson: Schweigen Sie Ihren Mund.

Hier also, auf den verkohlten Resten von Pilchs Häuschen, wird Habedank verhaftet, im Namen des Gesetzes und von diesem Krolikowski. Und wird verbracht nach Briesen. Und die Aussage dieses Weiszmantel, ohne festen Wohnsitz, wird jedenfalls zurückgewiesen. Gleich von Krolikowski.

Brandstiftung, sagt Sekretär Bonikowski, und Richter Nebenzahl sagt: Hinreichender Verdacht.

Also Vereinnahmung durch das Kreisgefängnis zu Briesen. Unvermeidbar allerdings: Anfrage, gerichtet an Polizeimeister in Strasburg, folgenden Inhalts: Ob der Inhaftierte, wie ausgesagt, dortselbst an der Beerdigung (katholisch) des Samuel Zabel, Ackerbürgers zu Strasburg, teilgenommen. Gemeinschaftlich mit einem Individuum, genannt Weiszmantel. Ob, wann, wie lange in Strasburg gesichtet?

Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Das sagt Prediger Feller in Neumühl, in meines Großvaters guter Stube. Mein Großvater sagt darauf: Wissen wir, sieht man immer wieder.

Amen, sagt Prediger Feller, das heißt: es werde wahr.

Ist schon, beendet mein Großvater.

Das kann gut für einen sechzehnten Satz stehen.

Ja, sagt der Feller still für sich.



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